Okt 30, 2023 | Presse

Bei Stadler dürfen jetzt Geflüchtete am Rad drehen

Berlin – Mit dem langsam einsetzenden Herbst leeren sich die Hallen des Fahrradgiganten, doch an diesem Nachmittag war der Berliner KURIER im Zweirad-Center Stadler in Prenzlauer Berg für eine kleine Attraktion vor Ort.

Im Rahmen einer Aktion der Berliner Stiftung Dare durften fünf allein geflüchtete und nun in Berlin lebende Jugendliche und junge Erwachsene an einem Workshop teilnehmen und bekamen ein nagelneues Fahrrad geschenkt.

Vor Ort waren auch die ehemalige Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) und die amtierende Senatorin für Arbeit und Soziales Cansel Kiziltepe (SPD). Die Stiftung Dare betreibt Jugendhilfe und hat sich dabei die Qualifizierung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die aufgrund von Traumatisierung, seelischem Leiden oder aus Kinderschutzgründen fremduntergebracht sind, auf die Fahnen geschrieben. Das Highlight der von der Stiftung initiierten Hilfsprojekte und Aktionen: Die „Fahrradhelden“. „Das ist unsere größte Aktion der Berliner Dare-Bewegung, bei der Heimkinder Fahrradfahren lernen und das Rad dann auch behalten dürfen“, sagt die Vorsitzende der Dare-Stiftung, Dagmar König, dem KURIER. Außerdem lernen die Jugendlichen bei den „Fahrradhelden“ in einem Workshop, wie sie das Rad selbst reparieren können. „Ich finde es gut, dass im Rahmen dieser Aktion auch der Nachhaltigkeitsgedanke gefördert wird und die Kinder lernen, wie sie ihr Fahrrad selbst reparieren können, wenn mal etwas kaputtgeht“, so Berlins Ex Bildungssenatorin Sandra Scheeres (2011–2021), zum KURIER. An dem Workshop nahmen fünf geflüchtete Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 17 und 18 Jahren teil. Sie leben alle gemeinsam in einer Unterkunft im Stadtteil Friedrichshain: Rustam (2022 aus der Ukraine geflüchtet), Farmanulla (2022 aus Afghanistan geflüchtet), Abdulaziz (2020 aus Syrien geflüchtet), Nagullah (2022 aus der Türkei geflüchtet) und Abdul (2022 aus Afghanistan geflüchtet). „Alle fünf sind alleine nach Deutschland gekommen und mussten ihre Familien in der Heimat zurücklassen“, berichtet die betreuende Sozialarbeiterin Pauline Stemmer vor Ort dem KURIER. Alle hätten aber Kontakt zu ihren Familien und arbeiteten daran, ihre Eltern und Geschwister nachzuholen. Rustam, Farmanulla, Abdulaziz, Nagullah und Abdul sprechen nur sehr gebrochen Deutsch, wie eine andere betreuende Sozialarbeiterin, Ines Hageman, berichtet: „Untereinander verständigen sie und wir uns mit Händen und Füßen und mit dem bisschen Deutsch, das sie bereits gelernt haben. Englisch spricht leider keiner von ihnen fließend.“ Doch trotz der Sprachbarriere konnte der Workshop wie geplant ablaufen. Den Jugendlichen wurde zunächst von einem Fahrradmechatroniker erklärt, wie man einen Schlauch wechselt: Einmal zugeschaut, bekommen es Rustam, Farmanulla, Abdulaziz, Nagullah und Abdul einigermaßen gut hin. Beim zweiten Versuch klappt es dann bei allen reibungslos. Farmanulla macht das ganze sogar so viel Spaß, dass er nach dem Workshop sagt, er wolle später einmal eine  Ausbildung zum Fahrradmechatroniker machen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Denn noch ist Farmanulla wie die anderen vier in einer Willkommensklasse und hat noch einige Jahre bis zum Schulabschluss vor sich. Doch an dem Plan festzuhalten, könnte sich für den 17-jährigen Afghanen dennoch auszahlen, da das Fahrradgeschäft boomt. Der Einzelhandelsumsatz mit Fahrrädern ist in den vergangenen zehn Jahren rasant gestiegen, von knapp 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf rund sieben Milliarden Euro im Jahr 2022. Das berichtet auch Vitaly Lang, Abteilungsleiter Fahrradverkauf bei Stadler, dem KURIER: „Wir sehen hier seit Jahren eine steigende Nachfrage sowohl nach manuellen als auch nach motorisierten Zweirädern. Tendenz steigend, vor allem bei den elektronisch angetriebenen Modellen“. Auch während Corona sei die Nachfrage nicht eingebrochen. Doch nach den Schrecken der Pandemie macht nun die grassierende Inflation der Fahrradbranche zu schaffen, denn die gestiegenen Rohstoffpreise machen auch vor den Drahteseln nicht halt: „In den letzten zwei Jahren sind alle Modelle, egal, ob Elektro- oder Muskelräder, im Schnitt um 30 bis 40 Prozent teurer geworden“, erklärt Josef Zimmerer, Leiter der beiden Stadler-Häuser in Berlin. Das verblüffende: Trotzdem sei die Nachfrage, „abgesehen von saisonalen Schwankungen, weiterhin stabil“, sagt Abteilungsleiter Vitaly Lang. Dass die Fahrrad- Branche auf dem Vormarsch ist, ist auch politisch gewollt. Vor allem Bundesländer wie Berlin setzen zunehmend auf das Fahrrad als individuelles Fortbewegungsmittel anstelle des Autos. Die amtierende Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, Cansel Kiziltepe (SPD), die ebenfalls vor Ort vom KURIER interviewt wurde, macht die Bedeutung des Fahrrads in der Politik deutlich: „Im Rahmen der Verkehrswende ist ein wesentlicher Baustein für klimafreundliche Mobilität die Errichtung von Fahrradwegen und autofreien Zonen“. Zudem müssten für ein klimafreundliches Berlin neben Radwegen der ÖPNV ausgebaut werden. Dies dürfe aber nicht auf Kosten  der Autofahrer geschehen, fügt Kiziltepe hinzu. Wie mehr Fahrradwege und autofreie Zonen ohne den Wegfall von Parkplätzen und Autostraßen funktionieren sollen, lässt Kiziltepe allerdings offen. Die Aktion „Fahrradhelden“ bezeichnet die Arbeitssenatorin als „Engagement für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“, denn eine gute Integration in den Arbeitsmarkt setze eine soziale Integration voraus.

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