Berlin. 1000 Fahrräder. Eine gigantische Zahl. Sie sind gedacht für Kinder, die traumatisiert sind, weil sie geschlagen, missbraucht oder vergewaltigt vergewaltigt wurden.
Selbst für einen Fahrradhändler wie Josef Zimmerer von Zweirad Stadler in Charlottenburg sind 1000 Räder eine gigantische Zahl. Mindestens 1500 Quadratmeter Platz bräuchte man dafür. Für Christian Coenen jedoch, Gründer von „dare e.V.“ bedeutet diese Zahl viel mehr: Kinderlachen, Unbeschwertheit, Normalität, ein wenig Glück und Vergessen.
Die 1000 Räder sind ohnehin nur die Spitze des Eisberges, schaut man sich die Zahl traumatisierter Kinder in Berlin an. Lena, Robin, Alexander, Lisa, nicht selten leiden sie ein Leben lang an den Folgen von Gewalt im Kindesalter. Sie haben persönliche Katastrophen erlebt, die nur schwer in ein Erwachsenenhirn passen. „Ihr seelisches Leiden ist mehr als eine Krankheit im Sinne eines Defekts, eines Nichtkönnens, einer mangelnden Fähigkeit oder einer Störung. Sie leiden grundsätzlich an einem Thema, einer Erfahrung, einem existenziellen Konflikt. Die damit verbundenen Fragen drängen sich dem Kind auf und überfordern es völlig.“ Auch Christian Coenen überfordert die Arbeit bei dare e. V. mitunter. Immer dann, wenn es schwer wird, Distanz zu schaffen, wenn die Schicksale der Kinder so grausam sind, dass es leichter wäre wegzuschauen.
Doch er schaut nicht weg. Deshalb hat er 2010 an der Humboldt Universität zu Berlin „dare e.V.“ gegründet. Der Verein setzt da an, wo die Hilfe des Staates aufhört. Zum Beispiel bei den 25 Euro jährlich, die einem Kind zustehen, das auf Grund seiner Traumatisierung fremd untergebracht werden musste, um außerschulisch Sport zu treiben. Montag Musikschule, Dienstag Sportverein, Mittwoch mit Freunden mit den Rädern um die Häuser ziehen ist mit Mitteln aus der Jugendhilfe unmöglich. Und wie sieht es dann in der Schule aus? Wenn Lena, Robin, Alexander und Lisa wieder einmal nicht mitreden können? Wenn sie wieder einmal nicht gemeinsam lachen und sich austauschen können?
Bei „dare e.V.“ findet man, „alle Kinder sind wichtig“. Kinder, deren Schicksale eine Unterbringung im Heim erfordern, sollen ein Stück Normalität und Wiedergutmachung der Erwachsenenwelt erfahren. Dafür schafft dare e.V. ein stabiles Netzwerk ehrenamtlicher Helfer und wirbt um Geld-, Sach- und Zeitspenden. Seit fünf Jahren koordiniert Christian Coenen mit seinen Mitstreitern Hilfsprojekte speziell für traumatisierte und seelisch kranke Kinder. Prominente wie Dominic Raacke, Christiane Paul und Jasmin Tabatabei geben dare e.V. ein Gesicht. Unsichtbar sind die vielen Unterstützer, die ebenfalls durch ihre finanziellen Mittel Kinder zu Sportkönnern, Tanzkönnern, Fahrradkönnern oder Teamkönnern werden lassen.
„Es gibt viele Wege zu helfen“, sagt Christian Coenen. „Bei dare kann sich jeder Bürger angesprochen fühlen, der die Patenschaft für ein Kind übernehmen und ihm mit seiner Spende den Sportverein, die Tanzgruppe oder das Fahrrad ermöglichen möchte.“
Auf rund 2500 traumatisierte Kinder in Berlin richtet „dare e.V.“ den Fokus seiner Arbeit. Ehrenamtliche Hilfe und Unterstützung kann Christian Coenen da gar nicht genug bekommen. Auch für sein abenteuerliches Projekt: 1000 Räder für 1000 Kinder. Hilfreich zur Seite steht ihm schon Josef Zimmerer von Zweirad Stadler in Charlottenburg, der defekte Räder wieder zum Laufen bringt. Auch die Kinder werden eingebunden, zum Beispiel durch Reparatur-Workshops, die von Stadler-Profis geleitet werden.
„Ein eigenes Fahrrad ist ein Schlüssel zu einem Stück Normalität“, sagt der Vereinsvorsitzende. Verantwortung für den eigenen Besitz übernehmen kann eine abenteuerliche und spannende Aufgabe für ein Kind sein und das Selbst- und Verantwortungsbewusstsein stärken. Wenn man mit diesem Besitz dann noch das neue Lebensumfeld besser kennenlernen und sich mobil und selbstbestimmt ausleben kann, dann ist das ein Traum für eine kranke Kinderseele. Christian Coenen weiß wovon er spricht. Beim Pilotprojekt waren es noch 100 Räder mit denen „dare“ Spender und Begünstigte mobil machte. Jetzt sind es 1000. Dabei ist „dare e. V.“ die nachhaltige Wirkung des Projekts genauso wichtig, wie Transparenz. Über jeden einzelnen gespendeten Euro kann Christian Coenen Auskunft geben. Für manchen Spender hat sein Geld nur für eine Fahrradklingel gereicht, aber der Vereinsvorsitzende weiß, an welchem Rad sie jetzt in welchem Kinderheim in Berlin klingelt.